Experteninterview mit Alessandro Bee: Die Auswirkungen des Klimawandels auf Unternehmen in der Schweiz

Auswirkung Klimawandel auf Unternehmen in der Schweiz
Foto: Alessandro Bee, UBS

Die Ablehnung des CO₂-Gesetzes in der Schweiz unterstreicht vor dem Hintergrund des Klimawandels die Dringlichkeit, neue und effektive Massnahmen zu ergreifen, um den Verpflichtungen des Pariser Abkommens gerecht zu werden. Vor diesem Hintergrund ist es für die Schweiz von grösster Wichtigkeit,  innovative Lösungen zu entwickeln, die das Netto-Null-Ziel erreichbar machen. Die Entwicklung solcher Strategien erfordert ein Umdenken in vielen Bereichen, von der Energieerzeugung über die Mobilität bis hin zur Industrieproduktion, um einen Weg zu beschreiten, der sowohl ökologische Verantwortung als auch wirtschaftliche Resilienz in den Vordergrund stellt.

Business Sustainability Today spricht mit Alessandro Bee, Ökonom und Head of CIO Macro & Strategy bei UBS Schweiz, über die Auswirkungen des Klimawandels für Schweizer Unternehmen und wie die Schweiz den Weg zu Netto-Null schaffen kann.

Dieser Artikel über die Auswirkung des Klimawandels auf Firmen in der Schweiz wird unterstützt von

Business Sustainability Today:

Herr Alessandro Bee, wo liegen die grössten wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels für die Schweiz? Welche Branchen und Industrien sind am meisten betroffen?

Alessandro Bee:

Die zwei relevantesten Themen für die Schweiz sind einerseits die Übersterblichkeit, die wir nun vielleicht jeden Sommer erfahren könnten, und andererseits der durch den Wandel des Klimas steigende Migrationsdruck. Übersterblichkeit ist ein kontroverses Thema, vor allem wenn es darum geht, welche Massnahmen es zu treffen gilt und wie stark diese unsere Gesellschaft belasten werden. Da der Klimawandel momentan hauptsächlich ärmere Länder trifft, also Länder, die bereits heute unter Druck stehen, könnte der Migrationsdruck dort deutlich zunehmen. Das würde letztlich auch die Schweiz betreffen.

Auf der Branchen- und regionalen Ebene beeinflussen die Veränderungen des Klimas primär den Tourismus, die Landwirtschaft und Versicherungen. Beim Tourismus könnte dies positive als auch negative Auswirkungen haben, je nach Lage, durch eine steigende Schneefallgrenze: Positiv für gewisse Orte über der (neuen höheren) Schneefallgrenze, negativ für Skigebiete mit zu wenig Schnee. Für die Landwirtschaft bedeuten heissere Sommer mehr Trockenheit und eine Ausbreitung von Schädlingen, was die Produktion beeinflusst. Wenn weniger in der Schweiz produziert werden kann, steigen die Preise und Importe. Zudem werden mit dem Klimawandel auch die extremen Wetterereignisse zunehmen. In der Schweiz kann es öfter zu Überschwemmungen und Erdrutschen kommen, auch an Orten, die bisher als sicher galten. Das bedeutet, dass Versicherungen mehr gefordert sein werden und neue Fragen aufgeworfen werden, wie was noch versichert werden kann und wie viel das kosten wird.

Business Sustainability Today:

Der Bundesrat möchte bis 2050 das Netto-Null-Ziel erreichen. Was bedeutet die Ablehnung des CO₂-Gesetzes für die Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft?

Alessandro Bee:

Das CO₂-Gesetz hätte der erste Schritt auf dem Weg zu Netto-Null sein können. Ziel des Gesetzes war es, die Treibhausgas-Emissionen mit Blick auf den Klimawandel um 50 Prozent mit Referenzpunkt 1990 zu reduzieren. Das hätte bedeutet, dass Unternehmen in der Schweiz zwischen im Durchschnitt über alle Branchen rund 30 Prozent an CO₂-Emissionen in den nächsten 10 Jahren hätten reduzieren müssen. Hinzu kommt, dass wir heute schon etwas im Rückstand sind, wenn es um den Abbau von Treibhausgasen geht – zum Beispiel werden die Ziele, die sich die Schweiz für 2020 gesetzt hat, wohl nicht erreicht. Das Netto-Null-Ziel ist somit sehr ambitioniert, weshalb es wahrscheinlich auch den Widerstand gab.

Nun wird es für den Bundesrat wichtig sein zu identifizieren, wieso das Gesetz abgelehnt wurde. Ist es ein Widerstand zu Netto-Null oder eine Abneigung gegenüber der Art und Weise wie man dort hinkommt? Der Weg zu Netto-Null ist in vielen Ländern schon gesetzt und die Schweiz hat das Pariser Abkommen unterzeichnet. Daher gilt es sich zu überlegen, was verändert werden soll. Will die Schweiz mehr auf Anreize und weniger auf Verbote setzen? Soll Innovation gefördert und dafür auf gewisse Abgaben verzichtet werden?

Business Sustainability Today:

Im Bericht «Der Weg zu Netto-Null für die Schweiz» beschreiben Sie vier Wege zur Reduktion von Treibhausgasen. Eine Finanzierung von Negativemissionstechnologien und eine Reduktion von CO₂ im Ausland haben für Schweizer Unternehmen1 weniger Priorität als der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Reduktion des Energiekonsums im Inland. Wie erklären Sie das?

Alessandro Bee:

Negative Emissionstechnologien sind bisher nicht so populär, weil sie zum einen, vorrangig bei kleinen Unternehmen, bis jetzt nicht so bekannt sind, und zum anderen, nach wie vor in der Entwicklungsphase stehen. Ihr Potenzial ist für Unternehmen in der Schweiz und die Auswirkungen auf den Klimawandel für die Firmenleitung schwierig einschätzbar. Wenn sich solche Technologien etablieren, könnte ich mir vorstellen, dass auch die Zustimmung steigt. Im Allgemeinen ist der Wille zum Wandel bei Schweizer Unternehmen gross und die Umfrageresultate zeigen, dass die Schweizer Unternehmen bereit sind, sich auch im Inland zu verändern. Besonders bei Unternehmen mit internationalen Wertschöpfungsketten ist der Umweltschutz essenziell. Oft verpflichten sich solche Firmen individuell zum Netto-Null-Ziel.

Zu beachten ist allerdings, dass das Netto-Null-Ziel (im Inland) zwar wichtig ist, wir aber mehr machen müssen, um wirklich einen substanziellen Beitrag zur Abschwächung des Klimawandels zu leisten. Wenn wir die Schweizer Treibhausgas-Emissionen im Inland anschauen, dann liegen wir im globalen Durchschnitt, was für eine industrialisierte Nation ein gutes Ergebnis ist. Aber unser CO₂-Fussabdruck, also was unser Konsum an CO₂ ausstösst, ist sehr viel grösser. Wir importieren Autos und exportieren Medikamente. Für unsere CO₂-Bilanz im Inland ist dies gut, weil die energieintensive Autoproduktion nicht in der Schweiz anfällt – aber die Autos haben letztlich Schweizer Abnehmer. Deshalb sind wir alle gefordert, auch auf individueller Ebene unseren eigenen Fussabdruck zu reduzieren – über das inländische Netto-Null-Ziel hinaus.

Business Sustainability Today:

60% von Schweizer Unternehmen halten das Netto-Null-Ziel, laut Umfrage, für erreichbar. Das bedeutet auch, dass 40 % von Schweizer Unternehmen dieses skeptisch betrachtet. In Anbetracht der Ablehnung des CO₂-Gesetzes stellt sich jetzt natürlich die Frage: wie können diese 40 % überzeugt und gar motiviert werden, auf Netto-Null hinzuarbeiten?

Der Weg zu Netto-Null

Kostenlose Informationen: Der Weg zu Netto-Null für die Schweiz und Umfrageergebnisse zu Nachhaltigkeit vom Mai 2021 bei rund 2500 Schweizer Firmen.

Alessandro Bee:

Hier ist es wichtig zu differenzieren: Ein Grossteil der Firmen, die skeptisch sind und das Netto-Null-Ziel für nicht erreichbar halten, sind dennoch überzeugt, dass es wünschenswert ist. In unserer Studie haben wir auch gesehen, dass je mehr Firmen über Nachhaltigkeit wissen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie das Ziel für erreichbar halten. Zudem halten Firmen, die viel Wissen über Nachhaltigkeit besitzen, Netto-Null nicht nur für erreichbar, sondern sehen es auch als Chance für die Wirtschaft und damit wohl auch als Business Gelegenheit für sie selbst.

Der Klimawandel ist für einige immer noch ein kontroverses Thema und auch nicht ganz einfach von der Materie her – schliesslich sprechen wir hier von Entwicklungen in den nächsten dreissig bis sechzig Jahren. Das führt zu grosser Unsicherheit und macht es nicht einfach, sich mit dem Thema zu befassen. Hier können Bildung und Kommunikation einen grossen Beitrag leisten. Wichtig ist es dabei, die Problematik erklärend darzustellen und Lösungswege sowie Kosten und Chancen für Unternehmen aufzuzeigen.

Was wir auch in unserer Studie gesehen haben, ist, dass es einen Unterschied zwischen grossen und kleinen Firmen gibt, was den Wissensstand zu Nachhaltigkeit betrifft. Kleine Firmen haben weniger Möglichkeiten und Ressourcen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Eine grosse Firma kann eine Nachhaltigkeitsverantwortliche einstellen – ein Fünf-Personen-Betrieb kann das nicht. Das macht auch beim Wissensstand einen grossen Unterschied. Was sich deshalb als politische Massnahme anbietet, ist diesen Wissenstransfer zu verstärken. Das hilft auch den Firmen, die selbst nicht die Ressourcen haben, sich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen.

Business Sustainability Today:

Was braucht es ihrer Meinung nach, sei es an Bewusstsein oder Infrastruktur, bis die Mehrheit der Schweizer Unternehmen ihre Geschäftsmodelle, auch abgesehen vom Netto-Null-Ziel, auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit konzentrieren?

Alessandro Bee:

Wer betrachtet, wie sich Nachhaltigkeit in der Unternehmenswelt entwickelt, sieht, dass grosse Erfolgsgeschichten eine gewisse Eigendynamik annehmen. Ich denke, hier sollte auch mit Blick auf den Klimawandel angesetzt werden. Firmen sollten inspiriert werden, auf den Zug aufzuspringen. Der Automobilmarkt ist ein Beispiel. Wurde Elon Musk vor ein paar Jahren noch ausgelacht, weiss man heute, dass er den Automarkt transformiert hat. Alle grossen Autohersteller ziehen mit und wenden vermehrt Elektromobilität an. Das kann in anderen Bereichen imitiert werden, und zwar mit mehr Förderung und Aufmerksamkeit für Erfolgsgeschichten in verschiedenen Branchen. Kommunikation und Aufmerksamkeit alleine reichen jedoch nicht – es sind Hilfsinstrumente und kein Ersatz für Gebote oder Anreize.

Business Sustainability Today:

Wie können Innovationen gefördert werden und wie bedeutend sind Cleantech und Climate Tech für die Schweiz?

Alessandro Bee:

Cleantech ist eine etablierte, wichtige Industrie, mit rund 200’000 Arbeitsstellen in der Schweiz, laut Bundesamt für Statistik, und beinhaltet verschiedenste Lösungen, von Energieeffizienz bis Ressourcenschonung. Bei Climate Tech geht es um CO₂-Reduktionen.

In beiden Branchen könnte die Schweiz eine international führende Position einnehmen, zum Beispiel bei der Energiespeicherung über Wasserkraft. Die Schweiz könnte sich auch mit innovativen Lösungen im Bereich der Solarenergie (wo der Bund in den nächsten der Fokus legen möchte) profilieren und diese Lösungen exportieren.

Auch in anderen Industrien bestehen Opportunitäten: Der Tourismus beispielsweise ist ein hart umkämpfter Markt, aber auch hier besteht das Potenzial sich mit CO₂-reduziertem Tourismus zu differenzieren.

Business Sustainability Today:

Haben sie einen Ratschlag für Unternehmen, die auf dem Weg zu 2050 nicht nur nachhaltig, sondern auch wirklich innovativ und proaktiv agieren wollen?

Alessandro Bee:

Wenn die Behörden weiter auf Netto-Null hinarbeiten werden, trotz Ablehnung des CO₂-Gesetzes, bedeutet das früher oder später, dass sich die regulatorischen Rahmenbedingungen im Inland wie auch im Ausland massiv ändern werden. Wer proaktiv darauf reagieren möchte, sollte frühzeitig die Chancen in diesen Veränderungen nutzen. Beispielsweise werden in der Gebäudetechnik schärfere Vorschriften auch neue Opportunitäten für Baufirmen eröffnen. Zudem ändern sich nicht nur Regulierungen, sondern auch Konsumentenvorlieben. Unternehmen sind gefordert, sich neu zu orientieren und künftige Entwicklungen, auf der regulatorischen wie auch der Konsumentenebene, zu antizipieren. Grundsätzlich kann Netto-Null als Einschränkung oder als Chance gesehen werden. Viele Firmen, das zeigt unsere Umfragen, nehmen es als Win-win wahr, im Sinne von: Wir bremsen den Klimawandel und geben unserer Wirtschaft neuen Schwung.

Business Sustainability Today:

Kann und soll sich die Schweiz auf das Thema Klima und Netto-Null losgelöst von anderen Themen konzentrieren oder müsste es gleich zusammen mit Themen wie der Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft adressiert werden?

Alessandro Bee:

Ich denke, für Unternehmen existiert ein Fokus auf Netto-Null, nicht losgelöst von anderen Themen. Wenn ein Unternehmen Nachhaltigkeit erst mal als ein Teil seiner Strategie und Unternehmensverantwortung wahrnimmt, dann ist es umso wahrscheinlicher, dass sie andere Themen, wie Recycling, auch betrachten und das Thema Nachhaltigkeit holistisch angehen.

Auch hier spielen Bildung und Kommunikation eine wichtige Rolle. Bei grossen, börsenkotierten Firmen sind die externen Faktoren wichtig: Was will der Shareholder, was will der Konsument? Aber bei kleinen Firmen in der Schweiz (oft im Dienstleistungssektor angesiedelt) ist vielmehr die Einstellung der Firmeninhaber und Mitarbeitenden entscheidend. Gemäss unserer Umfrage ist Nachhaltigkeit für viele kleine Firmen ein Teil der Firmenphilosophie. Sofern diesen Firmen klar aufgezeigt wird, was die Probleme sind und was Klimawandel bedeutet, welche Kosten damit verbunden sind, und welche möglichen Lösungsansätze existieren, können sie womöglich noch mehr dazu bewogen werden sich verschiedenen Nachhaltigkeitsthemen anzunehmen.

Business Sustainability Today:

Was ist Ihre Einschätzung zur Rolle und Beitragsleistung des Finanzsektors auf dem Weg zu Netto-Null-Ziel?

Alessandro Bee:

Hier gibt es zwei Aspekte. Einerseits muss der Finanzsektor den eigenen Fussabdruck reduzieren, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen. Der grössere Hebel liegt jedoch darin, wie Banken mit ihren Anlagen und Finanzierungen zu Netto-Null beitragen. Nachhaltiges Anlegen hat sich nicht nur wegen dem Klimawandel mittlerweile etabliert und es gibt verschiedene Formen davon, sei es entlang der ESG-Kriterien oder mittels Green Bonds. Zudem können Banken bei der Finanzierung von Projekten oder Immobilien nachhaltige Kriterien hinzuziehen. Das ergibt insofern Sinn, als eine Bank daran interessiert ist, dass ihre Kreditnehmer auch in zehn oder fünfzehn Jahren die gängigen (Umwelt-) Regulierungen einhalten und unter anderem Immobilien in ihrem Wert stabil bleiben. Mit diesen Instrumenten können Banken die Unternehmen bei der Transformation ihrer Tätigkeiten in Richtung Netto-Null unterstützen.

1 gemäss der im März 2021 durchgeführten Unternehmerumfrage zur Nachhaltigkeit für Schweizer Unternehmen; © Foto: UBS

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