Perspektiven: Wie die Schweiz eine nachhaltige Landwirtschaft fördern und Ernährungsgewohnheiten transformieren kann

Nachhaltige Landwirtschaft
Auch für die Landwirtschaft wegweisend: digitale Innovationen | © Schweizerischer Nationalfonds (SNF)

Klimawandel, knapper werdende Ressourcen und wachsende soziale Ungleichheiten: Die Zukunft unserer Ernährung und damit auch der Landwirtschaft steht vor grossen Herausforderungen. Wie kann die Schweiz eine Balance finden, welche die Interessen von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt gleichermassen berücksichtigt? Dieser Artikel zeigt auf Basis aktueller Forschungsresultate des NFP 73, wie eine nachhaltige Landwirtschaft in der Schweiz zukünftig aussehen könnte.

Umfängliche Informationen zu den in diesem Abstract zusammengefassten Themen zur nachhaltigen Landwirtschaft und Ernährungssystemen der Schweiz sind online im Original auf der Webseite npf73.ch in deutscher, französischer und englischer Sprache zu finden. Sie sind für die interessierte Öffentlichkeit frei zugänglich. Die aufgeführten Projekte standen unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr.-Ing Alexander Mathys, Dr. iur. Elisabeth Bürgi Bonanomi, Dr. Thomas Nemecek, Prof. Dr. Robert Finger, Dr. Christian Schader und Prof. Dr. Sebastian Heselhaus.

Landwirtschaft und Nachhaltigkeit

Die Landwirtschaft spielt beim Klimawandel eine entscheidende Rolle. Durch den Einsatz synthetischer Dünger werden Lachgas (N2O) und durch die Viehhaltung Methan (CH4) freigesetzt. Beides sind starke Treibhausgase. Die Expansion landwirtschaftlicher Flächen auf Kosten natürlicher Lebensräume führt zu einem Rückgang von Biodiversität. Monokulturen und der Einsatz intensiver Landwirtschaftsmethoden verschlechtern zusätzlich die Vielfalt der Arten. Nähr- und Schadstoffe, die in die Gewässer gelangen, sowie der umfangreiche Wasserverbrauch belasten die Qualität von Gewässern und Grundwasser.

Die Wertschöpfungskette im Ernährungssystem reicht von der landwirtschaftlichen Produktion und den Zulieferern über Verarbeitung, Verteilung und Einzelhandel hin zu Konsum und Entsorgung. Wesentlich mitbeteiligt am Ressourcenverbrauch der Landwirtschaft sind auch die Ernährungsgewohnheiten der westlichen Welt. Sie verursachen einen übermässigen ökologischen Fussabdruck. Hinzu kommt die Lebensmittelverschwendung, die weltweit pro Kopf und Jahr durchschnittlich 65 kg beträgt.

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65 kg an verschwendeten Lebensmitteln pro Person und Jahr können eine Person für 18 Tage gesund ernähren.
Prof. Dr. Alexander Mathys, ETH Zürich

Das nationale Forschungsprogramm 73 hat die wichtigsten Chancen und Herausforderungen für eine nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung in der Schweiz untersucht. Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Projekte belegen, dass es gangbare Mittel und Wege gibt, ökonomische und soziale Belastungen erfolgreich zu mindern.

Nachhaltige Lebensmittelproduktion in der Schweiz

Die NFP 73-Projekte, „Digitale Innovationen für eine nachhaltige Landwirtschaft“ und „Zusammenspiel von Ökonomie und Ökologie in Schweizer Landwirtschaftsbetrieben“, haben sich die Frage gestellt, mit welchen Strategien eine nachhaltige Lebensmittelproduktion in der Schweiz gefördert werden kann.

Ebenso grundlegend wie motivierend für den heimischen Agrarsektor ist das Ergebnis einer Reihe Schweizer Fallstudien unter der Leitung von Dr. Thomas Nemecek. Sie belegen, dass eine umweltfreundliche Produktion und wirtschaftliche Rentabilität keine Widersprüche sind. Als Voraussetzungen für Verbesserungen im Agrarwesen nennt Nemecek drei Achsen: erstens die Verlagerung von Fördermitteln von umwelttechnisch weniger effektiven zu umweltfreundlicheren Betrieben. Damit verknüpft ist die Umstellung von Tierhaltung hin zur pflanzlichen Produktion. Zweitens, in landwirtschaftlich wenig ertragreichen Gebieten. Besonders in Bergregionen müssen Anreize für eine tierfreundliche Bewirtschaftung gesetzt werden, welche die ökologische Dienstleistungen unterstützen. Drittens gilt es sicherzustellen, dass Landwirte Zugang zu Tools erhalten, die es ihnen in der Praxis ermöglichen, die Umweltbelastung zu bewerten und zu reduzieren.

Um die Nachhaltigkeit in der Schweizer Landwirtschaft zu fördern, so die übergeordnete, wichtigste Handlungsempfehlung, müssen Lebensmittelproduktion, Einkommenserzielung und Umweltschutz harmonisiert werden. Die Autorinnen und Autoren der Studien unterstreichen zugleich die Wichtigkeit, neue Technologien und Wissen über nachhaltige Landwirtschaft durch Bildungsangebote und Netzwerke schweizweit zu fördern.

Ein wichtiges Stichwort auf dem Weg zu einer nachhaltigen Landwirtschaft ist die Präzisionslandwirtschaft. Sie ermöglicht schon heute im Ausland eine massive Reduzierung des Einsatzes von Düngemitteln. Die Folge sind geringere Stickstoff- und N2O-Emissionen. Dies, ohne dass es zu Einbussen bei den Erträgen kommt. Möglich wird das mithilfe von Daten und Aufnahmen von Satelliten oder Drohnen.

Präzisionslandwirtschaft stellt für die Schweiz eine besondere Herausforderung dar. Die landwirtschaftlichen Anbauflächen sind kleinflächig. Sie weisen zudem oftmals unregelmässige Formen auf. Bestehende Lösungen müssen darum weiterentwickelt werden. Gleichzeitig sind die Anwendungskosten für Drohnentechnologie momentan (noch) hoch. Damit die digitale Infrastruktur die Bedürfnisse kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe in der Schweiz erfüllen kann, muss sie erst noch ausgebaut werden.

Landwirtschaftliche Produktion ausserhalb der Schweiz

Die Schweiz ist stark von Lebensmittel- und Futtermittelimporten wie Kakao, Soja oder Palmöl abhängig. Deshalb muss für die Verbesserung der Ernährungssysteme und eine ökologische Landwirtschaft auch die landwirtschaftliche Produktion ausserhalb der Schweiz berücksichtigt werden.

Diesem Ziel folgten u. a. die Projektstudien zu „Diversifizierten Ernährungssystemen dank nachhaltiger Handelsbeziehungen“, „Nachhaltigere Wertschöpfungsketten“, „Diversifizierte Ernährungssysteme dank nachhaltiger Handelsbeziehungen“, „Nachhaltigkeitsfussabdruck der Schweiz“ und „Freiwillige Umweltinitiativen der Privatwirtschaft“.

Die Schaffung von Transparenz ist eine der grössten Herausforderungen, um die durch die Schweiz mitverursachten Belastungen zu reduzieren. Ohne Vertrauen in die Handelspartner und ohne Offenlegung von Informationen lassen sich Verbesserungen im Ernährungssystem nur punktuell umsetzen.

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Das NFP 73 entwickelt Wissen für eine nachhaltige, ressourcenschonende Wirtschaft in der Schweiz, das Wohlstand fördert und die Wettbewerbsfähigkeit stärkt.

Unterstützend für die Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft, so die Autorinnen und Autoren der Studien, wirken öffentliche Anreize: Der Marktzugang für nachhaltige Produkte muss verbessert werden. Umweltschädliche Produktionsprozesse gilt es zu verhindern. Bei der Umsetzung dieser Ziele können Handelsabkommen helfen. Vereinbarungen von Umweltnormen und von Sozialstandards führen zu Verbesserungen. Damit die geforderten Standards über das Papier der Handelsverträge hinauswirken, müssen sie nicht nur verbindlich, sondern so präzise wie möglich festgehalten werden.

In vielen Segmenten der globalen Landwirtschaftsindustrie sind Know-how und Technologietransfers ausschlaggebend für Verbesserungen. So tragen bei der Viehzucht technische Innovationen kombiniert mit dem richtigen Wissen in überraschend gewichtigem Umfang dazu bei, die Methanemissionen zu verringern.

Änderungen der Ernährungsgewohnheiten

Das NFP-Projekt „Ernährungs- und Umweltauswirkungen des schweizerischen Lebensmittelverzehrs“ orientiert sich u. a. an den Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung und des Konsums. Auf dieser Basis zeigt die Studie, wie ein erstaunlicher Win-win Effekt entstehen kann.

Einerseits verringern veränderte Ernährungsgewohnheiten die negativen Umweltauswirkungen. Andererseits verbessert sich damit zugleich die Gesundheit der Konsumentinnen und Konsumenten. Womit sich wiederum auf Kostenseite auf diversen Ebenen messbare Einsparungen erzielen lassen. So können unter anderem Spitäler ihren Umweltfussabdruck und zugleich ihre Kosten senken, wenn sie für Personal und Patienten attraktive Anreize für pflanzenbasierte Mahlzeiten anbieten.

Anders als bei biologischen Lebensmitteln gibt es in der Schweiz einen Handlungsbedarf für Nachhaltigkeitslabel. Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz möchten eine bessere Regulierung von Labels für die Nachhaltigkeit bei Lebensmitteln, so die Erkenntnis der Untersuchungen.

Die staatliche Zertifizierung nachhaltiger Lebensmittelsysteme und von Bauernbetrieben ist laut Forschungsergebnissen ein Weg, Greenwashing und Verwirrung durch zu viele unterschiedliche Labels zu vermeiden.

Hindernisse und Lösungen für Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft

Bei der Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft und der Verbesserung schädlicher Ernährungssysteme treten zahlreiche Herausforderungen auf. Gleichzeitig existieren jedoch auch umfangreiche Lösungsansätze für diese Probleme. Die zentralen Hindernisse und Strategien, basierend auf den Erkenntnissen der NFP-73-Projekte, umfassen:

Herausforderungen

  • Uneinheitliche Definitionen: Standards für Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft sind nicht klar definiert.
  • Veraltete theoretische Grundlagen: Die bekannten theoretischen Ansätze wie „Multifunktionalität“ und „Ökosystemdienstleistungen“ sind hilfreich, um die Grenzen des Marktes aufzuzeigen. Sie reichen jedoch nicht aus, um die aktuellen, komplexen Probleme effektiv anzugehen.
  • Nahrungsmittelverluste und Umweltbelastung: Das Projekt „Ernährungs- und Umweltauswirkungen des schweizerischen Lebensmittelverzehrs“ unter der Projektleitung von Prof. Dr.-Ing. Alexander Mathys zeigt, dass die Schweiz bei sozialen Indikatoren gut dasteht, nicht aber bei Nahrungsmittelverlusten und den Zahlen zur Umwelt.
  • Unterschiedliche ökologische Effizienz und ökonomische Leistungsfähigkeit: Die Studie unter der Leitung von Dr. Thomas Nemecek zeigt auf, dass Umwelteffizienz und Wirtschaftlichkeit stark nach Produktgruppen und Regionen variieren, mit der Region als stärkstem Einflussfaktor.
  • Unzureichende politische Unterstützung: Die aktuellen politischen Rahmenbedingungen fördern nicht durchgehend die Nutzung von Präzisionslandwirtschaft.
  • Mangelndes Bewusstsein für den Nutzen: Viele Landwirte sind sich der Vorteile und Effizienzsteigerungen durch Präzisionslandwirtschaft nicht bewusst.

Lösungsansätze

  • Einführung neuer, ganzheitlicher Methoden: Neue systemische Ansätze, die sowohl nationale als auch handelspolitische Massnahmen in der Agrarpolitik sowie eine differenzierte Behandlung tierischer und pflanzlicher Lebensmittel aus ökologischen Gründen umfassen, helfen bei der Erfassung und Umsetzung von Verbesserungen.
  • Schaffung verbindlicher Regeln: Die Schweiz und die nachhaltige Schweizer Landwirtschaft benötigen verbindliche Regeln auf allen Stufen, national wie international, welche die zahlreichen gegenseitigen Abhängigkeiten in den globalen Ökosystemen in eine Balance zum Wohl aller Beteiligten bringen.
  • Loslösung von vermeintlichen Zielkonflikten: Die Unterschiede zwischen biologischer Landwirtschaft und ökologischem Leistungsnachweis sind – wie Nemecek nachweist – gering. Wobei die biologische Bewirtschaftung tendenziell umweltfreundlicher ist. Zwischen Umwelteffizienz und Wirtschaftlichkeit bestehen keine Zielkonflikte.
  • Veränderung der Ernährungsgewohnheiten: Eine nachhaltigere Ernährung kann in der Schweiz Umweltbelastung, Kosten und Gesundheitsrisiken signifikant senken.
  • Gewichtung und Betrachtungsweise adaptieren: Tierische und pflanzliche Lebensmittel sollen aus ökologischen Gründen mit unterschiedlichen Ellen gemessen werden dürfen.
  • Ausbau digitaler Strukturen: Die Politik muss in die nötige digitale Infrastruktur investieren, um diese als öffentliches Gut bereitzustellen und Landwirte bei der Nutzung von Präzisionstechnologien zu unterstützen.

Weitere spannende Einblicke in die Strategien für Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft und zum Ernährungssystem der Schweiz sind direkt verfügbar auf npf73.ch. Diese Ressource bietet umfassende Informationen in Deutsch, Französisch und Englisch.

Dieser Text entstand in Kooperation mit dem Nationalen Forschungsprogramm (NFP 73). Die redaktionelle Verantwortung für sämtliche Textinhalte obliegt den Autorinnen.