Einführung: Welche Bedeutung hat das SDG 11 für die Schweiz?

SDG 11 Stadt Ziel Nachhaltigkeit

Trendforscher sind sich einig: Unsere Welt verändert sich rasant auf sozialer, ökologischer und daher wirtschaftlicher Ebene. Neben Klimawandel und neuen technologischen Errungenschaften stehen unter anderem drei Megatrends im Vordergrund, die die Welt im Allgemeinen und auch die Schweiz zunehmend betreffen. Dies sind Bevölkerungswachstum, Urbanisierung und eine alternde Bevölkerung.1 Alle drei betreffen das Ziel 11 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und unterstreichen dessen Wichtigkeit: Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen.

In diesem Einführungsartikel zu SDG 11 2 erläutert Business Sustainability Today die wesentlichsten Faktoren für nachhaltige Städte sowie die Rolle der Bau- und Immobilienbranche in der Schweiz.

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Bis 2050 soll die Weltbevölkerung von momentan 7,3 Milliarden auf 10 Milliarden anwachsen. Ein solches Bevölkerungswachstum wird vor allem durch die Entwicklung in Schwellen- und Entwicklungsländern erwartet.3 Dieser Megatrend beeinflusst jedes der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG).

Drei Herausforderungen, welche die Entwicklung von nachhaltigen Städten beeinflussen

Der zweite Megatrend ist eine zunehmende Urbanisierung – vorwiegend auf der südlichen Erdhalbkugel. Schon heute lebt mehr als die Hälfte der globalen Bevölkerung in Städten. Bis 2050 sollen es sogar 70 % sein.4 Urbanisierung in Entwicklungsländern bedeutet jedoch zumeist nicht nach Standard errichtete Neubauten in Kernstädten, sondern wachsende Slums am Rand von Grossstädten.

In ihrem Fortschrittsbericht zu SDG 11 berichtet die UNO, dass die direkten und indirekten Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in den vergangenen zwei Jahren sogar noch mehr Menschen dazu gezwungen haben, in Slums zu leben. Damit einher geht eine zunehmende Verschlechterung der Lebensqualität.5 Unabhängig von der globalen Positionierung bringt dieser Urbanisierungstrend grosse Herausforderungen mit sich – für alle Städte. Städte, insbesondere Hauptstädte, sind die Hauptzentren wirtschaftlicher Aktivitäten und wirtschaftlichen Wachstums und daher auch hauptverantwortlich für umweltschädliche Emissionen. Um Letztere zu senken, müssen Städte an vorderster Stelle stehen – ebenso wie bei der Verbesserung von Luftqualität oder dem Umgang mit Abfall.

Den dritten Megatrend stellt eine alternde Bevölkerung dar. Dieser Trend betrifft vorwiegend Industrieländer, in denen die Anzahl von Personen über 60 Jahren schon 2030 die Zahl der unter 25-Jährigen überschreiten wird. Aber auch die Weltbevölkerung in Schwellen- und Entwicklungsländern altert zunehmend.6

Die World Health Organisation schätzt, dass bis 2050 80 % der globalen älteren Bevölkerung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen leben werden.7 Obwohl die Herausforderungen einer alternden Bevölkerung in Entwicklungs- und Schwellenländern schwieriger zu bewältigen sein werden, stehen Industrieländer vor ähnlichen Herausforderungen.

Für die Schweiz birgt der Alterungstrend eine Reihe von verstärkten Anforderungen. Das betrifft etwa eine bessere soziale Integration von älteren Personen sowie eine frühere Altersvorsorge von jungen Personen. Somit sind Schweizer Städte, ebenso wie Grossstädte im Ausland, gefordert, sich entsprechend aufzustellen. Hierzu gehören unter anderem eine integrative und nachhaltige Urbanisierung sowie die Sicherstellung von nachhaltig gebautem, sozialverträglichem und bezahlbarem Wohnraum für alle – insbesondere auch für ältere Menschen. Eine weitere Herausforderung ist der Zugang zu sicheren, inklusiven Grün- und Erholungsflächen.

Das Engagement von Schweizer Kantonen und Städten zu SDG 11

In ihrem Fortschrittsbericht zu SDG 11 berichtet die UNO, dass bis im Frühling 2021 156 Länder und Gebiete eine nationale Stadtentwicklungspolitik entwickelt haben und sich fast die Hälfte davon in der Umsetzungsphase befindet.8 Auch Schweizer Kantone und Städte haben Entwicklungspolitiken zu Ziel 11 entwickelt und orientieren sich dabei zunehmend an den SDGs.

So berichten der Kanton Aargau und der Kanton Freiburg konkret über den Entwicklungsstand zu SDG 11 und zu relevanten Themenbereichen.9 Der Kanton Wallis setzt sich Ziele im Bereich «Raumentwicklung, Mobilität und Infrastruktur» und verknüpft diese mit der Agenda 203010. Die Hauptstadt Bern hat 2021 eine neue Rahmenstrategie für nachhaltige Entwicklung verabschiedet und meldet, dass sie als «erste Stadt in der Deutschschweiz (…) die Nachhaltigkeitsziele der UNO als strategische Basis für ihre Tätigkeiten anwendet»11. Biel verfolgt seit 2019 ihre Strategie 203012; Zürich verfolgt die Strategien 203513 und bekennt sich ebenfalls zu den SDGs. Genf unterstreicht ihren Beitrag zu den SDGs mit verschiedenen Projekten.14

Der Beitrag von Bau- und Immobiliengesellschaften zu SDG 11

Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von nachhaltigen Städten spielen nicht nur die Städte selbst.  Auch die verschiedenen Schweizer Firmen sind entsprechend gefordert. Sie machen eine nachhaltige urbane Entwicklung mit «Green Planning», urbanen Kreislaufmodellen sowie smarten nachhaltigen Gebäuden und Infrastruktur überhaupt erst möglich.15 Hier lohnt sich ein Blick auf den Fortschritt der Schweizer Bau- und Immobiliensektoren.

Basierend auf den Resultaten der «Focused Reporting»-Benchmark-Analyse 2021, unter der neun Unternehmen aus der Baubranche und zehn Unternehmen aus der Immobilienbranche analysiert wurden16, schneidet das Baugewerbe bei der Berichterstattung im Allgemeinen gut ab: Es gehört zu den Top-3-Sektoren. Immobilien auf der anderen Seite gehören zu den Sektoren mit Nachholbedarf.

Immer mehr Schweizer Firmen berichten zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung sowie verwandten Themen und Zielen, die von Organisationen wie SASB und dem World Economic Forum identifiziert wurden. Wenig überraschend ist, dass zu SDG 13 und Klimaschutzmassnahmen am häufigsten berichtet wird und auch die meisten Ziele in Relation zu SDG 13 und CO2-Emissionen gesetzt werden.

Im Bausektor setzen sich 89 % der Firmen generelle Ziele, 33 % davon sind SMART und wirkungsorientiert. Im Immobiliensektor liegt der Wert bei 70 %, aber nur 10 % der Firmen definieren hier SMARTe Ziele. In der Baubranche konzentrieren sich die Ziele auf die folgenden SDGs: SDG 13, Massnahmen zum Klimaschutz; SDG 9, Industrie, Innovation und Infrastruktur; und SDG 8, menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum. An zweiter Stelle liegen SDG 11 sowie SDG 12, verantwortungsvoller Konsum und Produktion; und SDG 6, sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen.

In der Immobilienbranche liegen das SDG 13, SDG 11 und SDG 3, Gesundheit und Wohlergehen, auf Platz 1. Dahinter folgen SDG 8, SDG 9, SDG 12 und SDG 16, Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen.

SMARTe Ziele zu SDG 11 beziehen sich in der Baubranche in erster Linie auf die Verringerung von CO2-Emissionen durch einen vermehrten Einsatz von recyceltem Material, Abfallreduktion sowie die Senkung von Frischwasserverbrauch. In der Immobilienbranche bedeutet Ziel 11 ebenfalls Ziele zur Reduktion von CO2-Emissionen, zum Aufbau von klimaneutralen Immobilienportfolios, zum Abbau von Brennstoff- und Gasheizungen, zur Senkung von Energieintensität von Immobilien sowie zu einer Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch.

Wenn es um Berichterstattung zu SDG 11 geht, sieht man die grössten Unterschiede zwischen dem Unternehmensdurchschnitt und den Bau- und Immobilienbranchen. Im Durchschnitt berichten nur 28 % der Firmen über das Ziel 11. Im Bauwesen sind es 70 % der Firmen und 50 % der Immobilienunternehmen, die zu SDG 11 berichten. Die Top-4-Berichterstatter im Baugewerbe setzen sich allesamt wirkungsorientierte Ziele zu SDG 11.

Innovation: der Schlüssel zu SDG 11

Der Weg zu nachhaltigen Städten in der Schweiz und darüber hinaus liegt in der Innovationskraft von Firmen, die sich ambitionierte Ziele setzen sowie nachhaltige Entwicklung mit modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Wirtschaftskraft verbinden. Wenn es um ambitionierte Zielsetzung geht, liegt die Baubranche zu Recht weit vorn: Der CO2-Fussabdruck, um den es hier geht, ist kein leichter.

Neueste Alternativen zu Materialien und Wiederverwertung übernehmen hierbei eine Vorreiterrolle. Dazu zählen etwa die Rekarbonisierung von recyceltem Beton mit CO2 von Holcim17, «Bio-Based Admixtures» aus Zuckerrohr von Sika18 oder die Lösung der Firma neustark, die der Atmosphäre CO2 entzieht und in recyceltem Beton speichert19. Um SDG 11 zu erreichen, braucht es allerdings auch sozial orientierte Konzepte, unter anderem sozial gerechtes Wohnen und Zugang zu Grünflächen. Solche Ansätze müssen neben globalen Herausforderungen wie Klimawandel und Biodiversitätsverlusten ebenfalls zur Erreichung von SDG 11 adressiert werden.

Die Erreichung des Nachhaltigkeitsziels 11 mag aus heutiger Sicht komplex und anspruchsvoll erscheinen. Es gilt sich aber auch zu vergegenwärtigen, dass die Herausforderungen zu Ziel 11 Unternehmen und Städten neue Tätigkeitsfelder eröffnen. Zudem können lokale und nationale Lösungsansätze auch anderen Ländern als Vorbild dienen und damit nicht nur Schweizer Städte bei der nachhaltigen Entwicklung unterstützen.

Mehr zu den Herausforderungen des SDG 11, dem Potenzial der Bau- und Immobilienbranchen bei der nachhaltigen Entwicklung von Städten sowie zum Thema Kreislaufwirtschaftslösungen gibt es hier im Experteninterview mit Prof. Dr. Susanne Kytzia.

Zusammengefasst:

  • Bevölkerungswachstum, Urbanisierung und eine alternde Bevölkerung betreffen als Megatrends auch die Schweiz – und verleihen dem SDG 11 auch hierzulande eine hohe Dringlichkeit.
  • Schweizer Kantone und Städte werden sich vermehrt der Wichtigkeit von Ziel 11 bewusst und engagieren sich bereits strategisch und auf Planungsebene konkret im Bereich der nachhaltigen Entwicklung.
  • Neben der strategischen Ausrichtung und Führung von Städten ist auch die Schweizer Privatwirtschaft – insbesondere der Bau- und Immobiliensektor – gefordert, an der Erreichung des SDG 11 mitzuwirken.
  • Entscheidend für die Umsetzung des SDG 11 sind technologische Innovationen, der Einbezug sozialer Faktoren und eine vorbildliche strategische Führung von Städten.

1 PWC Megatrends BlackRock Megatrends UBS Investing in the Future
2 SDG 11 und das deutschsprachige Pendant „Ziel 11“ werden in diesem Artikel gleichbedeutend verwendet.
3 UBS Long Term Themes Equity Fund: Investieren in eine bessere Zukunft
4 Schweizerische Eidgenossenschaft: Ziel 11 -Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen
5 United Nations: Goal 11 – Sustainable Development
6 UBS Long Term Themes Equity Fund: Investieren in eine bessere Zukunft
7 World Health Organization: Ageing and health
8 United Nations: Goal 11 – Sustainable Development
9 Kanton Aargau – SDG 11: Nachhaltige Städte und Gemeinden Strategie Nachhaltige Entwicklung des Staats Freiburg
10 Kanton Wallis: Strategie und Programme für die nachhaltige Entwicklung
11 Kanton Bern: Rahmenstrategie für nachhaltige Entwicklung verabschiedet
12 Kanton Biel: Strategie 2030
13 Stadt Zürich: Strategien 2035
14 City of Geneva: Agenda 2030 for sustainable development in Switzerland and around the world
15 Deloitte: Urban future with a purpose – 12 trends shaping human living
16 focusedreporting.ch
17 Holcim: Paving the way to truly circular concrete with recarbonation
18 Sika Group: Bio Based Admixtures
19 Neustark.com

17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung

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